Umbruch des Musikmarkts in Zeiten des Internets

Posted by: on May 3, 2017 | 5 Comments

Ein aktuelles Interview ist der Anlass für dieses Essay über den Stand des Musikbusiness 2017.  Das Gespräch mit Anita Carstensen fand im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts der Berlin Music Commission und der Humboldt Universität zu Berlin zum digitalen Umbruch des Musikmarkts statt. Ziel des Projektes ist es, gemeinsam mit Experten der Musikbranche Implikationen und Herausforderungen der Digitalisierung für die Musikindustrie zu erarbeiten und darzustellen, welche neuen Möglichkeiten des Marketings sich hier für Künstler bieten.

 

1. Wie hat sich das Nutzungsverhalten von Musik mit der Digitalisierung und der Entstehung von sozialen Netzwerken verändert? 

Bevor ich auf die Fragen eingehe möchte ich kurz den Kontext herstellen und etwas weiter ausholen: 

Tragbarere Kassettenrecorder als gifvia Ronny

Der weltweite Siegeszug des digitalen Formats (zuerst auf CD, dann auf den MP3 Playern) hat das gesamte System und den Umgang mit, aber auch die Herstellung und Distribution von Musik komplett verändert.  Fundamental und so weitreichend, dass wir uns immer noch in der Umbruchphase des kompletten Musikbusiness befinden und sich noch vieles verändern wird. Meine Antworten beziehen sich also auf den jetzigen Zeitpunkt (Mai 2017). Veränderungen passieren schnell, deshalb ist es mir sehr wichtig, das hier festzuhalten.

Im Gegensatz zu früher, wo wir Musik mobil maximal mit dem Walkman genießen konnten, gibt es heute zahllose Möglichkeiten die Musik überall mit hinzunehmen. Die Veränderung der Musiknutzung durch technische Neuerungen, verschiebt natürlich auch die Art, wie wir mit Musik umgehen, wie wir sie beziehen: Heute geht es vielen nicht mehr darum Musik zu besitzen = Ownership, sondern um den Zugang dazu = Access. Userseitig. Prognosen sagen mittlerweile auch dem Download schon das Ende voraus, schaut man sich aber mal die Zahlen in Japan an (dort kaufen die Leute immer noch gerne CDs 75% im Vergleich zu 2016 in Deutschland ca. 50%) ist auch das nur eine wage Vermutung. Natürlich ist die Art der Nutzung auch immer abhängig vom jeweiligen Musikgenre.

 

Dahinter finden jedoch noch ganz andere fundamentale Umbrüche statt:

Ein boomender und um jeden Käufer buhlender Hardware Markt

Der Nutzer kann sich heute nicht nur Trilliarden von Songs anhören, er muss sich auch noch zwischen sehr vielen anderen Dingen (nicht nur Spotify oder Apple Music) entscheiden. Das geht los bei der Wahl des (mobilen) Audio-Players, mittlerweile wohl das Smartphone, das wiederum kompatibel mit den drahtlosen Geräten zu Hause sein muß, damit dort am Morgen dann auch gleich die “Guten Morgen Playlist (eine speziell auf den User durch Algorythmen zurechtkuratierete Liste des Anbieters) laufen kann (Connected Home),  die unglaubliche Menge an unterschiedlichstem DJ-Equipment und endet noch lange nicht im Auto.
Und genau hier liegt auch die Challenge für alle Anbieter: Überall präsent zu sein, man muss  alles anbieten, auf allen Systemen, für alle Devices und natürlich mit möglichst umfangreichem Repertoire. Der Kampf um Content. Denn diesen (Content)  gilt es ja auch zu lizenzieren, was unglaublich aufwändig werden kann und nicht immer erfolgreich verläuft. Neuestes Beispiel: Idagio, eine schöne Streaming App für klassische Musik, mit hand-kuratierten Listen und einem ständig aktualisierten Editorial. Leider  gibt es noch viele Lücken im Sortiment. Ohne langen, finanziellen Atem der Betreiber dieser Services ist eine erfolgreiche Markteinführung aber auch ein Bestehen auf dem Markt, vor allem in Deutschland, ziemlich mühsam.

 

Wie kommt die Musik zu mir?

Userseitig unterscheiden wir heute zwischen Lean-Back und Lean-Forward Nutzern. Lean-Back, das ist das was früher nur das Radio anbot: Einschalten, zurücklehnen und zuhören. Heutzutage wird dieses Verhalten durch z.B. Playlisten bedient. 

Lean-Forward, heißt aktiv nach Musik suchen und hier kommt es zu den größten Veränderungen:

Früher hat man zuerst über Musik gelesen und ging danach in den Plattenladen seines Vertrauens, um sich die Musik anzuhören, die der versierte Plattenverkäufer seines Vertrauens einem zurechtlegte.  Das war der „Point of Interest“, dort gab es alle Infos über neue Künstler und Platten. Hatte man keinen Plattenladen in der Nähe, gab es zig Printmedien, vom kleinen Fanzine bis zur Tageszeitung und Mailorder. Aber:  Überall konnte man über Musik nur lesen. Was so im Radio lief, war – für mich eher uninteressant. Auch das TV konnte mir in Punkto Musik nichts beibringen.  

 

Main Shift: Erst hören, dann lesen

Seit dem Einzug des Internets hat sich alles umgedreht: Ich folge häufig den Musik-Empfehlungen in den Sozialen Medien von Freunden, in Musikblogs, Clubs und DJs auf diversen Plattformen (Soundcloud, Spotify, YouTube, Bandcamp etc. ) und lasse mich von ihrem Musikgeschmack inspirieren. Ein Klick und die Musik ist in meinem Ohr. Gefällt’s, landet der Song mit wenigen Klicks in meiner eigenen Musikbibliothek oder in einer Playlist und erst dann mache ich mich auf die Suche nach weiteren Infos zum Release/Künstler/Label. Gefällt der Song nicht, geht es gleich weiter zur nächsten Empfehlung.

Die Möglichkeit, sich einfach treiben zu lassen und in die Vielfalt der Musikwelt einzutauchen finde ich persönlich sehr angenehm: Neben anderen Songs des Künstlers, den ich gerade entdeckt hatte kann ich oft noch weiter diggen: Welche Songs hat er “geliked” oder “reposted”,  in welchem Umfeld ist der Song? (Mixe, Playlisten etc.)

Jeder ist heutzutage Sender (Sprachrohr) und Empfänger, es findet eine große Demokratisierung statt. Im Gegensatz zu früher, wo man schon genau wissen musste, welchem Musik-Journalisten / Plattenverkäufer man seinen eigenen Musikgeschmack anvertrauen konnte.

Und es geht noch weiter:
Mithilfe von Musikerkennungs-App wie z.B. Shazam ist es mittlerweile ein Leichtes, Songs zu identifizieren, die „in der Luft umherschwirren“(Radio, Film, Club, Werbung, DJ-Mixe). Sie werden von der App automatisch erkannt, können sofort gekauft (In-App purchases) oder in eine Liste meines bevorzugten Streaming Dienstes hinzugefügt UND können natürlich sofort weiter geteilt werden.
Fact: 2015 wurde einer von zehn Tracks über Shazam gekauft. (Gründerszene). Im Gegenzug zeigt Shazam öffentlich die Daten, an wo der Song gerade gespielt wird. Für jeden ersichtlich. Für die Band/Label können so z.B. komplett neue Regionen in der Kampagnen- und/oder bei der Tour Planung berücksichtig werden.

 

Herausforderungen für die Streaming-Services

Die Kernkompetenzen der heutigen Streaming-Services neben vielen anderen (Technik, Cash, Content, User etc.…) fokussieren sich derzeit auf drei zentrale Themen, um die Nutzer zu binden:

  • Convenience
  • Connectivity
  • Personalization

Hat ein Service einen User dazu gebracht, jeden Monat ein Sümmchen zu bezahlen, kann er auch mit dessen großer Loyalität rechnen. (Stichwörter: Conversion bzw. Retention Rate)

 Die größte Herausforderung für Plattformen ist die algorithmisch gesteuerte Musikempfehlung, um die Nutzer zu halten. Dabei werden aus den bisher bekannten Nutzerdaten weitere Titel empfohlen. Ganze Heerscharen von Programmieren befassen sich damit, ständig am Algorithmus herumzuschrauben um ein  optimales Ergebnis für alle Beteiligten zu erzielen. (= Personalisierung) Gelingt mal mehr, mal weniger gut. Ich persönlich bin  fest davon überzeugt, dass dies nur mit menschlicher Unterstützung vollends gelingen kann. Zu viele Parameter lassen sich nicht von Algorithmen einfangen.

https://i0.wp.com/imgs.xkcd.com/comics/here_to_help.png?resize=550%2C194&ssl=1
Leseempfehlung: Was macht Spotify mit meinen Daten

Alle Welt nutzt Spotify. Aber wie nutzt der Streaming Dienst dich? Wie macht er deine Daten zu Geld? Komplexes Thema – das mit diesen Infografiken einfach erklärt wird

Infografik die zeigt, wie der Streamingdienst Spotify von seinen Nutzern Daten sammelt

2. Die Musikindustrie hat sich seit der Digitalisierung und der Entstehung von sozialen Netzwerken extrem verändert. Wer sind Ihrer Meinung nach die größten Verlierer und Gewinner dieses Wandels (Labels, Künstler, Konsumenten, Printmedien, Digitale Medien, Hörfunk/TV, Konzertveranstalter/-agenturen, etc.)?

 

Es ist, wie überall: Verlieren wird der, der sich nicht neuen Herausforderungen stellt, auch wenn die Entwicklungen nicht klar absehbar sind, es keine klaren Regeln/Anweisungen gibt.  Zugegeben, für jemanden der in Deutschland aufwächst ist das schon ein ganz schöner „Mental Shift“. Wir sind ja irgendwie ein TÜV-Land. Da geht nichts raus, was nicht 100 Prozent geprüft und für gut befunden wurde. Und auf einmal soll man nach „Trial&Error“ handeln. Wie eingangs erwähnt, befinden wir uns immer noch in der extremen Umbruchphase und da bleibt jeder auf der Strecke, der sich sperrt. Die meisten (oder gar alle?) Musik-Vertriebe aus den 90ern haben nicht überlebt, weil sie das Internet einfach nicht ernst nahmen. „Das geht schon wieder vorbei“ ist nur eins der vielen Memes aus dieser Zeit. Print in Deutschland, speziell der Musikjournalismus, ist hier immer noch nicht angekommen, wie man meiner Meinung nach an den derzeitigen Internetauftritten der ehemals etablierten Musikpresse gut sehen kann.

Grundlegende Veränderungen sind auch noch in Bezug auf das Urheberrecht zu erwarten.
Die Journalistin Annika Weglerle hat den Soziologen und DJ Georg Fisher zum Thema Sampling, Urheberrecht und Kunstfreiheit in der Musik gefragt. Hier ein kurzer Auszug aus dem sehr lesenswerten Artikel:

Das moderne deutsche Urheberrecht ist ein kompliziertes rechtliches Gebilde, das im Zuge des 20. Jahrhunderts zwar zum Schutz geistigen Eigentums eingeführt wurde, in den Augen Vieler der heutigen Situation jedoch nicht mehr gerecht wird, teilweise sogar zu einer Einschränkung der Kunstfreiheit führt.

Dass sich jedoch selbst KünstlerInnen in Hinblick auf dieses Thema nicht einig sind, zeigen Gerichtsprozesse aus den letzten Jahren, wie jener zwischen Kraftwerk und dem Hip-Hop-Produzenten Moses Pelham, in dem in über zehn Jahren über ein zwei Sekunden langes Sample verhandelt wurde. Auch Meinungsverschiedenheiten zwischen MusikerInnen und Streaming-Diensten offenbaren divergierende Definitionen des Urheberrechts bzw. Diskrepanzen in der Auffassung dessen, was geistiges Eigentum im digitalen Zeitalter bedeutet. Dabei lassen solche Streitigkeiten häufig vor allem eines erkennen: einen Generationsunterschied. (Quelle: LANDR Blog)

 

Aber auch die hiesige Verwertungsgesellschaft GEMA (70.000 Mitglieder) tut sich mit den Veränderungen im Musikbusiness schwer, nicht zuletzt  auch bedingt durch ihre starren und unflexiblen internen Strukturen. Dazu kommt noch, dass sie sich weder fortschrittlich noch transparent zeigen. Im Gegensatz zu den Kollegen der ASCAP (USA), PRS (UK) SACEM (FR), die sich gerade mit der Blockchain, die auf die Bitcoin Technologie aufsetzt, auseinandersetzen. (Quelle: Musicbusiness Worldwide)

Aktuelle Artikel zum Thema Blockchain:
Benji Rodgers zum ersten Schritt von Spotify ins Blockchain Biz:  Before you ask, I think it’s awesome…
Hier im Blog gibt es auch  eine Artikelsammlung

Blockchain Original Pic from FT

Labelseitig ist auch einiges durcheinanderg eraten. Die Dominanz der verbliebenen 3 Major Label, die sich gerade finanziell wieder vom Schrecken des letzten Jahrzehnts erholen, ist unanfechtbar.

Trotzdem boomt der Indie Musikmarkt

Aus dem IFPI Global Music Report 2016:

„IFPI Chief Executive Frances Moore said: “After two decades of almost uninterrupted decline, 2015 witnessed key milestones for recorded music: measurable revenue growth globally; consumption of music exploding everywhere; and digital revenues overtaking income from physical formats for the first time.““

Quelle GFK Entertainment

Aber auch in den Plattenläden hat die Digitalisierung ziemlich viel verändert. Doch: Trotz oder gerade wegen der Digitalisierung im Musikbusiness geht es einigen Plattenläden fantastisch, denn sie haben sich auf die neuen Zielgruppen eingestellt und ihr Sortiment umgestellt. Nicht zuletzt weil auch das Vinyl wieder gefragt ist wie nie zuvor. Dazu kommt die Ausweitung des Sortiments auf InStore Gigs, Ticket-Verkäufe, Lesungen im Plattenladen, Facebook für VÖ-Tipps und so weiter.

Das gleiche gilt natürlich für Labels und Veranstalter: Eine Label Website auf der ich mir nichts anhören kann oder eine Veranstaltungshinweis für ein Konzert ohne Musik wird mein Interesse nicht wecken, ja, das macht mich regelrecht traurig. Grade in Deutschland ist das leider noch sehr verbreitet: Ellenlange und öde Texte anstatt Musik und/oder Videos. (Siehe oben: Shift: erst Musik hören, dann darüber lesen)

Radio/TV Stationen haben ihr Programm, das vor dem Internet nur linear (zu einem bestimmten Zeitpunkt) zu hören waren, weitestgehend über das Internet verlängert und dadurch die Reichweite vergrößert. Sei es über Hinweise auf das online verfügbare Programm auf Interaktionsplattformen der sozialen Medien (Facebook, Twitter) oder  das Ausspielen der eigenen Inhalte via eigenem YouTube Kanal oder in Podcasts. So erlaubt es dem User nun zeitunabhängig Inhalte zu sehen/hören wann, wo und mit welchem Device es ihm beliebt. On- oder Offline.

 

3. Wie setzt sich heutzutage der Marktwert eines Künstlers zusammen? Erwarten Sie in Zukunft Verschiebungen an den Umsatzanteilen?

Heutzutage ist es für einen Künstler einfach, sich selbst zu vermarkten. Vorausgesetzt, er hat  Lust, Zeit, Skills und ist motiviert ständig dazuzulernen. Uns so verhält es sich auch mit seinem Marktwert. Für Künstler, die bei einem Label unter Vertrag sind gilt: „Schau dir den Vertrag genau an!“ Das Leistungsspektrum und somit auch die Einnahmen und deren Quellen befinden sich in konstanter Veränderung für alle Beteiligten. Das größte Problem derzeit ist die Intransparenz bei den Abrechnungen, der Künstler wird oft im Unklaren gelassen über: (Quelle: http://cmuinsights.com/digitaldollar/)

 

Plattformen wie YouTube oder Soundcloud fallen derzeit noch unter das Safe Harbour Abkommen, d.h. die Plattformen selbst müssen nichts lizenzieren, da hier Upload von den Usern vorgenommen wird (= user generated content). Monetarisierung findet hier derzeit nur durch (allerdings auch fallende) Einnahmen aus Werbung und in Deutschland seit kurzer Zeit  auch durch die GEMA statt. (Billboard Artikel 2017)

 

Musikplattformen wie Deezer, Spotify oder Apple Music lizenzieren Content vom Content-Inhaber bzw. deren Vertreter. Große Labels liefern meistens direkt an, während kleinere Labels oder Künstler auf einen Mittelsmann zurückgreifen müssen, dem Digitalen Vertrieb, der wiederum einen Teil der erziehlten Einnahmen für seine Dienste behält.  Und auch hier geht es ziemlich undurchsichtig zu, wenn es darum geht, welchen Deal hat z.B. ein Major-Label, das eventuell selbst Anteile an der Plattform besitzt. Exklusive Vorabveröffentlichung auf einem bestimmten Service machen es zudem dem User noch ziemlich schwer, sich für einen Dienst zu entscheiden, wie im neuesten Fall Universal aber auch Indie Vertreter Merlin mit ihren neuesten Windowing Deals mit Spotify zeigen.  „Trial hopping“ oder gar „back to piracy“ ist oft die Folge davon. (Musicindustry Blog

 

In konstanter Veränderung befinden sich auch die Berechnungsgrundlagen für die Auszahlungen der einzelnen Services. Deezer hat erst diese Woche einen neuen Vorstoß gemacht und anstatt des bisher üblichen „Service Centric Licensing“ das „User Centric Licensing“ begonnen. (Mehr Hintergrund dazu in einem aktuellen Artikel im Musicindustry Blog)

 

Im Gegenzug gibt es neue Modelle, in denen die bisherigen Mittelsmänner des Musikbusiness nicht mehr gebraucht werden. Plattformen auf denen der Künstler selbst anliefert und verkaufen kann, wie z.B. Bandcamp. Im Gegensatz zu Soundcloud kann der Künstler seine Musik dort sowohl digital als auch physisch zum Kauf anbieten. Kauft ein Fan dort ein, bekommt der Künstler sofort persönliche Informationen über den Käufer, wie Email Adresse, Land, Region etc., die z.B. bei der nächsten Tour Planung berücksichtigt werden können. (Leseempfehlung: Why not Bandcamp?)
Eine weiteres  Modell kommt vom Berliner StartUp RESONATE, das mit dem Slogan: „Stream to Earn“ wirbt.
Der Marktwert eines Künstlers kann sich heutzutage also aus so vielen Puzzleteilchen zusammensetzen wie noch nie. Versteht er es geschickt damit umzugehen und bedient er die gesamte Palette, steigt sein Marktwert entsprechend.

NuGroove Records and Macbook Pro Digital Transformation

Pic: Anne-Lena Michel

4. Wie hat sich das Leistungsspektrum (Musikangebote/-produkte) eines Künstlers verändert?

Erst mal bleibt es dabei, ein Künstler macht Musik und das wird immer das Wichtigste sein. Alles andere, das wie und das Drumherum wird sich ständig verändern.

Die größte Veränderungen im Leistungsspektrum derzeit ist wohl die Abkehr der herkömmlichen Release-Zyklen. Das bisherige Vorgehen: Zwei Singles, Album – Remixes – Outtakes und dann wieder zwei Jahre nichts, ist definitiv vorbei. Heutzutage kann und muss man seinen Fans auch zwischen den Alben etwas anbieten, sonst gerät man in der Flut der täglichen Empfehlungen ziemlich schnell in Vergessenheit.Ob das Albumformat im Zeitalter von Playlisten noch Sinn macht ist auch eine der Grundsatzfragen, die sich ein Künstler heutzutage stellen muss. (Read on: Calvin Harris: Five singles in two years… and no sign of an album.)

Abgesehen vom Musik machen gibt es heutzutage noch unzählige andere Dinge, die man als Künstler machen kann, wenn man dann will: Sei es die eigene Betreuung der Social Media-Kanäle oder Content-Produktion, wie zum Beispiel kurze Video-Snippet für Snapchat/Instagram. Und nicht zuletzt: Interaktion mit den Fans.

Ob der Künstler diese neuen Aufgaben selbst in die Hand nimmt oder  auf Experten wie  Labels/Agenturen vertraut, das ist natürlich von den finanziellen Möglichkeiten des Künstlers abhängig.

 

5. Was sind die wichtigsten Bereiche der Wertschöpfung (z.B. physische/non-physische Musikinhalte, Merchandise/Sponsoring sowie Konzerte) für einen Künstler? Wie haben sich die Schwerpunkte aufgrund der Digitalisierung verändert?

Dies ist sehr individuell und hängt stark von Faktoren wie: Genre, Indie/Major, Umfeld, finanzielle Ausstattung und natürlich auch vom Künstler selbst ab. Schauen wir uns als Beispiel das Live Business an: Ein sehr wichtiger Wertschöpfungsbereich, aber nicht jeder Künstler kann gut live spielen. An Stelle dieser ehemals sehr festgelegten Einnahmequelle kommen nun neue Möglichkeiten der Vermarktung hinzu bzw. verstärken sich schon gängige Methoden, z.B. als Testimonials für Brands die mit viralen Kampagnen auch einen bisher unbekannten Künstler ziemlich schnell an die Spitze katapultieren können.

Ein anderes Beispiel für die Veränderungen in der Wertschöpfung ist der Superbowl in America. Die Künstler bekommen wenig Cash allerdings ein Maximum an Aufmerksamkeit und Viralität. Aufmerksamkeit ist quasi die neue Währung.

Derzeit größte Herausforderung ist die angemessene Verteilung der erzielten Einnahmen, wie oben bereits beschrieben. 

 

6. Wie sehen Sie das 360-Grad-Modell der Wertschöpfung gegenüber einer Spezialisierung auf bestimmte Felder?

Falls dieses Modell überhaupt noch angewandt wird, denn es ist m.E.  sehr rückschrittlich. Heutzutage ist es möglich, sich für jeden Teil der Wertschöpfung individuell und evtl. nur auf einen Zeitraum begrenzt, Spezialisten anzuheuern. Das spart Zeit, Geld und ist effektiver, wie wenn alles aus einer Hand kommt und ein Künstler vielleicht nur noch das Nebenprodukt eines Social Media Managers im Unternehmen ist, der sonst noch zig andere Künstler betreuen muss.

 

 

7. Welche Veränderungen erwarten Sie für die Musikwirtschaft in zehn Jahren?

Neben der Auswertung und Umsetzung der Ergebnisse von BigData: „Wer sind meine Fans, woher kommen sie, was möchten sie wann am liebsten sehen/hören“ – das bereits heute Standard sein sollte – stellt tatsächlich die Rechteverwertung und -verwaltung die komplexestes Veränderung dar. Wir haben allein in Europa rund 27 Verwertungsgesellschaften. In Zeiten von Internet und scheinbar grenzenlosem Hörgenuss eine riesige Herausforderung, wenn es um Lizenzierung geht. Einen wirklich guten Ansatz zeigt hier das System der Blockchain. Ein Thema, das mittlerweile auch von Verwertungsgesellschaften ernst genommen wird. Siehe auch meine Antwort Punkt 2

Hier noch ein Seh-Tipp von der Slush-Konferenz in Helsinki 2016: Musicbusiness in 2025
Imogen Heap (Artist, Founder of Mycelia for Music and MiMu Musical Gestural Glove System), Pete Downton (Deputy CEO at 7Digital), Gregor Pryor (Co-chair of Reed Smith LLP’s Global Entertainment and Media Industry Group), Tracy Gardner (Digital Strategy and Global Business Development at Warner Music Group) and Mike Jbara (CEO of MQA Ltd.) Fireside at Slush Music 2016.

 

8. Was sind derzeit die wichtigsten Vermarktungsmöglichkeiten eines Künstlers?

Hier sind unzählig viele neue Vermarktungsmöglichkeiten dazu gekommen, die es vor der Digitalisierung nicht gab: YouTube, musical.ly, Snapchat, Instagram, um nur einige zu nennen. Wichtig ist dabei für den Künstler und das betreuende Label, dass man sich ausprobiert und schaut, wo und wie man sein Publikum am besten erreicht. So kann beispielsweise eine Rock-Band, deren Zielgruppe noch nicht so stark digital unterwegs ist, eine tolle Facebook Livevideo-Kampagne machen, aber die Conversion nachher überzeugt überhaupt nicht, weil die Fans nicht darauf reagieren. Auf der anderen Seite muss eine Hip Hop-Band vielleicht gar keine CD mehr produzieren, weil die Zielgruppe Musik nur noch digital konsumiert. Insofern sollte man auf jeden Fall erst einmal schauen, wo denn die eigenen Fans unterwegs sind und dementsprechend seine Marketingaktivitäten aussteuern. Auch hier gilt: Ausprobieren, Messen, Handeln.  

 

9. Wie haben sich diese Vermarktungsmöglichkeiten aufgrund der Digitalisierung verändert?

Die Digitalisierung bringt ständig neue Möglichkeiten. Deswegen ist es für einen Künstler unglaublich wichtig, neben dem Willen zur Inszenierung und der richtigen Wahl der Experten, auch die Veröffentlichungszyklen zu Überdenken (siehe 1.3). Um auf den großen Streaming- und Downloadplattformen stattzufinden ist es natürlich auch unabdingbar, mit einem digitalen Musik-Vertrieb zusammenzuarbeiten.

 

10. Welche Relevanz hat Content Marketing für die Vermarktung von Musikangeboten? Welche Trends sehen Sie im Bereich Content Marketing?

Musik alleine reicht heutzutage leider nicht mehr aus. Es braucht eine starke Story (Stichwort Storytelling) die sich dann wiederum mit  unterschiedlichen Formaten in unterschiedlichen Kanälen erzählen und vermarkten lässt.

Ein tolles und für das Klassik-Genre ungewöhnliches Beispiel ist in diesem Zusammenhang der YouTube-Kanal von Daniel Barenboim. Es ist wirklich beeindruckend, ihm dabei zuzuhören, wie er Stücke erklärt, die ihm am Herzen liegen, und sich gelegentlich auch zu sozialen oder politischen Themen äußert.

Oder die Teaser-Kampagne für das neue Album von Bonobo auf Instagram. Dort hat das Label Ninja Tune zusammen mit dem Künstler zu einigen Songs kurze Videos in zeitlichen Abständen hochgeladen, bis zum Tag des Album-Release.

Mit gutem Content-Marketing kann man heutzutage wunderbar die Fans erreichen und sie auch über einen längeren Zeitraum immer wieder unterhalten und informieren. (siehe auch nächster Punkt)

 

 

11. Welche drei Faktoren müssen Ihrer Meinung nach für eine erfolgreiche Content Marketing-Strategie berücksichtigt werden?

Die wichtigste Frage vorneweg: Bin ich eine „Oneman-Show“ und mache alles selber oder steckt ein Label/Agentur dahinter? Eine auf die Personality des Künstlers ausgerichtete Strategie, nach eingehender Zielgruppenanalyse die Identifikation des „Point of Sale“ und schließlich die Wahl der Kommunikationskanäle und der darauf zugeschnittenen Inhalte.

Ganz klar im Fokus muss hier eine gute Geschichte stehen (siehe Punkt 9), die vor allem glaubwürdig und interessant ist. Bei der Umsetzung und Verbreitung der Geschichte ist es wichtig, die Mittel und Wege zu finden, die auch die Zielgruppe erreicht. Online oder Offline, ständig monitoren = nachprüfen, wie die Kampagnen laufen und ggf. nachjustieren um den POS (Point of Sale) zu identifizieren. In bestimmten Genres/Märkten werden z.B. die meisten Umsätze immer noch mit CDs erzielt.

 

 

12. Sehen Sie in der Selbstvermarktung eine große Chance für Künstler?

Klar, theoretisch braucht ein Künstler heutzutage gar kein Label mehr und das bedeutet eine extreme Demokratisierung. Er hat sein Glück selbst in der Hand, kann seine Musik zuhause selbst produzieren, sie über Plattformen wie Bandcamp oder Soundcloud verbreiten und sich ein Netzwerk aufbauen. Ob das dann wirklich funktioniert und Künstler damit erfolgreich sein können, ist eine ganz andere Frage.

Andererseits hat der Künstler nun die Möglichkeit, sich die Experten in den Bereichen Promotion, Distribution und Produktion selbst auszusuchen und nur für einen begrenzten Zeitraum für sich arbeiten zu lassen. Auch Fragen wie: Muss es überhaupt ein Album sein, oder reicht es, alle paar Monate oder sogar jede Woche nur einen Track zu  Veröffentlichung sind dank Digitalisierung möglich. Vorteil: Der Künstler hat heutzutage die Möglichkeit, den aktuellen Zeitgeist und aktuelle Stimmungen einzufangen und sofort mitzuteilen. Auch eine Art Freiheit: Aufwachen, einen Song schreiben, ihn aufnehmen und sofort raus damit. Ein Video dazu, Snippets auf Instagram & Snapchat und schon könnte ein neuer Hit entstanden sein. Während man im traditionellen Biz oft bis zu zwei Jahren warten muss, bis bei man im sehr weit im Voraus verplanten Releaseplan eines Labels dran ist.

Leseempfehlung:

  1. Warum ehemalige Major-Label-Artists  Ludacris und DJ Jazzy Jeff jetzt zu einem Indie-Distributor gewechselt sind bei FORBES
  2. Marc Mulligan: Welcome to the Post DIY-Era Musicindustry Blog

 

13. Wie wichtig erachten Sie Interaktion zwischen Künstler und Konsument für eine erfolgreiche Vermarktung eines Künstlers im Rahmen der Digitalisierung?

Was für einen Künstler in Bezug auf Interaktion mit den Fans wichtig oder nicht wichtig ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Wie so oft schon angemerkt: Hat ein Künstler Probleme, sich offensiv nach draußen zu begeben, wäre er schlecht beraten, es unter Zwang zu tun. Hat er damit kein Problem: Super, Go for it! Lass deine Fans mitentscheiden ob ein Release veröffentlicht wird, wohin die nächste Tour geht oder gar wie das Cover aussieht.

Ein spannendes Beispiel für gute Interaktion ist die deutsche Band AnnenMayKantereit. Die sind in Köln mit einer kleinen Community gestartet, die sie durch ihre Gigs auf den Straßen gewonnen hatten. Und nach einem Jahr füllten sie bereits große Konzerthallen, ohne überhaupt ein Album veröffentlicht zu haben, nur mit den Straßenkonzerten und ein paar wirklich genialen Musikvideos. Der Deal mit dem Major Label kam danach erst. Das ist doch beeindruckend: Eine Band, die ohne große Marketingkampagne auskommt, aber im Dialog mit ihren Fans nach jedem Auftritt die Resonanz auf ihre Konzerte direkt überprüfen kann.

 

 

14. Worin sehen Sie für Künstler in dem Zeitalter von Social Media und dem Internet zukünftig die größte Herausforderung?

Ich arbeite viel mit Künstlern zusammen und eine der größten Herausforderungen, die ich beobachte, ist die Challenge der Selbstinszenierung. Früher mussten Künstler sich maximal zwei, drei Tage auf einer Promo-Tour  vermarkten, auf festgesetzten Interviewtagen durch die Republik reisen, das wars – damit wirst du heute kaum mehr Fame & Rubel bekommen.

Hat ein Künstler sich entschieden, das Internet als Freund und gute Plattform zu sehen, stehen schon die nächsten Herausforderungen an  Durch die schier unglaublich vielen Möglichkeiten die es gibt, entsteht natürlich auch die so genannte „Qual der Wahl“ der Mittel oder auch: Freiheit macht Angst. Was, wo, wie und vor allem an wen, um welche Uhrzeit etc.?… Das liegt auch nicht jedem Künstler. Wer nicht so offensiv nach draußen gehen kann, der braucht viel mehr Durchhaltevermögen und hat dann aber sehr gute Chancen auf organischem Weg zu treuen und vor allem realen Fans zu kommen.

 

Und „last not least“: Das liebe Geld:

Finanziell hat sich auch einiges geändert:  Microeinnahmen per Stream, undurchsichtige Abrechnungen und im Gegensatz zu früher, als noch in klaren Zeitzyklen veröffentlicht wurde, gibt es kaum mehr fest kalkulierbare Einnahmen kurz nach dem Release. Die Einnahmen sammeln sich so im Lauf der Zeit. Stichwort: Longtail.

Dabei kommen 70 Prozent der Einnahmen von Streaming-Services aus so genannten Katalogverkäufen, während bei den Downloads nur 50 Prozent aus dem Katalog-Repertoire stammen. Der User nutzt Streaming Services zum Entdecken, während er im Downloadstore eher gezielt einkauft. Das macht sich natürlich in den Einnahmen bemerkbar.

Quelle: Music in the Air.

 

FAZIT:

KEEP CALM AND CARRY ON

 

 

 

Über die Autorin:

Barbara Hallama ist Expertin für das internationale Musikbusiness. Seit Anfang der 1990er Jahr im Musikbiz tätig und hat sie die dort stattfindende Transformation aus der ersten Reihe begleitet. Als 2004 in Deutschland der iTunes Musicstore eröffnete und somit die Disruption einer gesamten Branche begann, war sie als „Head of Editorial“ für Deutschland/Österreich/Schweiz maßgeblich am Erfolg der Unternehmung beteiligt. Bis heute sitzt sie an den Top Future Themen, zuletzt als „Head of Content“ für eine Radiostreaming App von Deutschland bekanntestem Klassiksender ‘Klassik Radio’. Außerdem kuratiert sie für das Schweizer Newsportal SCOPE den Bereich Internationales Musicbusiness , betreibt die eigene Facebook Page: Digital Musicbusiness News und ihren Blog: Sharing Means Caring.

5 Comments

  1. sharing means caring – Popup Brandenburg
    May 5, 2017

    […] weiterlesen… […]

    Reply
  2. Annika
    May 6, 2017

    Hallo Barbara, vielen Dank für den super informativen & interessanten Artikel, habe ich sehr gerne gelesen! Ich hätte nur eine kleine Berichtigung: Der LANDR-Artikel, aus dem zitiert wurde, ist nicht von Georg Fischer, sondern von Annika Wegerle, die Georg Fischer zu diesem Thema interviewt hat (der zitierte Auszug ist aus der von Annika verfassten Einleitung zum Interview). Liebe Grüße!

    Reply
    • barbnerdy
      May 7, 2017

      Hallo Annika,
      vielen Dank für deinen schönen Kommentar und sorry für den Fehler! Ich habs grade geändert. Liebe Grüße von Barbara

      Reply
  3. peter
    May 19, 2017

    “Der weltweite Siegeszug des MP3 Formats (zuerst auf CD, dann auf den MP3 Playern)”
    Hier sollte es des digitalen Formats heißen.

    Vielen Dank für die gelungene Zusammenfassung.
    LG, Peter

    Reply
    • barbnerdy
      May 20, 2017

      Hey Peter, habs geändert, danke für den Hinweis. Irgendwie klang der Satz etwas holprig, jetzt ist er schön. Liebe Grüße von Barbara

      Reply

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