Interview im MINT Mag –> Research & Destroy

Posted by: on Jun 27, 2017 | One Comment

In der Februar Ausgabe des deutschen Printmags über Vinylkultur MINT  gab es ein Interview mit mir, das ich nun “befreien” durfte:
Einige Stationen wurden ausgelassen / vereinfacht, um den Interviewer nicht vollends zu erschlagen. Es hat ein Weilchen gedauert, bis ich den Text “befreien” durfte aber nun ist er hier, quasi ein Geburtstagsgeschenk.
Los gehts:

NuGroove Records + MacBook bei Barbara Hallama

Seit über 30 Jahren kauft BARBARA HALLAMA Vinyl. Ihre Leidenschaft als Hip-Hop- und Techno-DJ hat dafür gesorgt, dass sie es gleich mehrmals zum genau richtigen Zeitpunkt tat. Auch abseits der klassischen Dance-Genres bietet ihre Sammlung eine Tiefe, die auf ein aufregendes Leben abseits der Kategorie „near mint“ schließen lässt.

Ein Besuch in einer Welt ohne Schutzhüllen.

Text: Markus Hockenbrink | Fotos: Anne-Lena Michel

 

Die Wohnung von Barbara Hallama ist nicht dazu geeignet, den Trend zum Immobilienneid aufzuhalten. Die vier Stockwerke im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg erklimmt man gerne, denn hinter der Eingangstür erwartet einen alles, was man sich von einem Altbau verspricht: hohe Decken, schöne Dielen und der diskrete Charme der kulturschaffenden Bohème. So richtig gemütlich wird es aber erst, wenn man die Stufen zum ausgebauten Dachgeschoss erklommen und sozusagen das Sonnendeck betreten hat. Der großzügige Raum bietet einen unverstellten Blick über die Dächer der Stadt nach Südwesten und steht ganz im Zeichen eines Hobbys, das sich schnell erraten lässt. Eine Wand ist bewußt blank gelassen, doch der Großteil ist für Schallplatten reserviert, die auf den ersten Blick eher holprig geordnet sind. Gerahmte Fotos und Souvenirs lockern die Sammlung auf, aber dann erspäht man eine zentral platzierte Ausgabe von Radioheads The King Of Limbs in einer beunruhigenden Farbvariante.

Beim Näherkommen erhärtet sich ein Verdacht, der bei so manchem Sammler körperliche Schmerzen hervorrufen dürfte: Das Cover der LP ist deshalb so grünstichig, weil die Nachmittagssonne hier schon eine ganze Zeit lang am Werk war. Und sie hat gründliche Arbeit geleistet: Die Mehrzahl der Rücken aller übrigen Plattencover ist so ausgebleicht, das die ehemals bunte Reihe Stück für Stück der Rückansicht einer Karajan-Kollektion zu ähneln beginnt. „Ich habe mir meine Platten nie als Wertanlage gekauft“, sagt Barbara Hallama über diesen Zustand. „Mir ging’s auch nie um die Erstpressung oder den Sammlerwert, sondern immer nur um die Musik. Und was die Musik angeht, ist auf jeder meiner Platten Gold drauf.“

Barbara Hallama Interview Mint Mag

Was Sammlungen betrifft, ist die von Hallama eindeutig biografisch geordnet. Von Beethovens Neunter bis zu Metallica sind es da manchmal nur zehn Zentimeter, doch das Gros der Platten ist in sinnstiftenden Genres unterteilt, was nicht zuletzt mit Hallamas eigenem Lebenslauf zusammenhängt. Die gebürtige Münchnerin hatte ihre Finger nämlich jahrzehntelang näher am Puls der Zeit als die meisten anderen Schallplatten-Enthusiasten. Alles fing 1991 an. „Ich war technische Zeichnerin im Maschinenbau, bin dann aber relativ schnell im Münchner Nachtleben verschwunden“, erzählt sie. Ihr Revier war ein Cocktail-Etablissement namens Wunderbar in der Nähe des Hofbräuhauses, bei dem Hallama als Türsteherin die Gäste willkommen heißen sollte.

In der behaglichen Kellerbar waren regelmäßig DJs zugange, die sich kenntnisreich durch ein Soul- und Jazzrepertoire pflügten. „Irgendwann habe ich festgestellt: Das, was die da unten spielen, habe ich ja auch!“ sagt Hallama. „Also habe ich gefragt, ob ich da auch mal auflegen kann, und kurz darauf stand ich das erste Mal aufgeregt zitternd an den Plattenspielern.“ Die treue Box Atlantic Rhythm And Blues 1947-1974 hat sie immer noch, und über die Liebe zur Black Music gelangte sie zum HipHop, der Mitte der 90er in voller Blüte stand. Beastie Boys, The Fugees, Jurassic 5 – es ist erstaunlich, in welcher Dichte damals moderne Klassiker erschienen und wie viele davon sich heute in Hallamas Sammlung finden.

 

WG mit DJ Hell

Ihre nächste musikalische Zufallsbegegnung sollte sich dann entscheidend auf ihre Biografie auswirken. „Mein damaliger Mitbewohner kam aus New York zurück und hatte ein Tape von der Garage-Ikone Tony Humphries dabei“, erzählt die Sammlerin. „Irgendwann lief in dem Plattenladen, in dem ich immer eingekauft habe, ein Track, der auch auf diesem Tape drauf war. Das war mein Einstieg in diese ganze Dance-Geschichte. Und das war lustigerweise auch der Plattenladen vom damals noch coolen Tom Novy.“ Auch der damalige Mitbewohner ist kein Unbekannter: Helmut Josef Geier alias DJ Hell gilt als deutscher House-Pionier, und seine Residency im Münchner Technoclub Ultraschall ist nach wie vor legendär. Ab 1993 veröffentlichte Hell bei Disko B, dem einflussreichen Label von DJ Upstart alias Peter Wacha – auch er ein guter Bekannter von Barbara Hallama. Es dauerte nicht lange, und sie war die WG-eigene Bookerin für alle Unternehmungen, die mit Hell und Upstart zu tun hatten. Die Sammlerin lacht: „Das braucht man sich nicht so glamourös vorzustellen. Wenn Hell nach Amerika gefahren ist, hat er mir nur kurz gesagt: ‚Du, Barbara, wenn’s jemand anruaft wegn a Gig, dann schreib’s hoalt auf!‘“

Glamour hin oder her – Hallama ging zu dieser Zeit völlig in einer pulsierenden Szene auf, die aus dem Isardorf über Nacht ein Techno-Mekka gemacht hatte. Wo vorher nur Soulmusik auf ihrem Plattenspieler rotierte, fanden sich plötzlich die aktuellsten House-12-Inchs wieder, und die Plattenenthusiastin konnte sich endlich mit vollem Recht DJ nennen. Kurz nach ihrem ersten Auftritt, bei dem sie ganze vier Stücke auf einer Technoparty auflegen durfte, war sei bereits Regular bei einer Partyserie namens Pure Garage, für die sie zuhause eilig das Mixen lernte. Die aufregende Münchner Zeit war für sie aber bald schon wieder zu Ende, sagt Hallama. „1996 wurde mir Techno zu langweilig, da habe ich angefangen, Freestyle aufzulegen: Jungle, Drum’n’Bass, Hip-Hop, Electro.“

Sie zog nach Hamburg, wo sie im Golden Pudel auflegte und ihre Partyreihe „Club Neu „ auf die Beine stellte. „Die Leute, die am Anfang (zu HipHop*) getanzt haben, haben auch am Ende noch (zu Drum&Bass/Electro*)getanzt“, sagt sie stolz, räumt aber gleichzeitig ein, dass sie sich mit ihren musikalischen Vorlieben wahrscheinlich selbst um das ganz große Geld gebracht hat. „Es ist nicht förderlich für die Karriere, wenn man Freestyle auflegt“, sagt sie. „Monika Kruse hat damals mit mir im Ultraschall angefangen und ist ihrem Stil einfach treu geblieben. Sie spielt heute noch Techno. Andererseits wurden Leute wie John Peel immer für ihr Diggertum gelobt, aber bei mir hieß es: ‚Die dreht ihr Fähnchen nach dem Wind.‘ Ich glaube, ich war einfach immer zu früh für alles.“

Oder zu schüchtern. Laut Hallama dauert es Jahrzehnte, bis man einen eigenen Stil hat, doch auch der sagt nichts über den kommerziellen Erfolg aus. Als DJ ist die Fähigkeit zur Selbstvermarktung mindestens so gefragt wie die Qualitäten als Rampensau, und in diesen Disziplinen bezeichnet sich die Sammlerin gerne als „Mrs. Understatement“. Statt Vollzeit vom Plattenauflegen zu leben und irgendwann womöglich wirklich in den Top 100 des DJ Mag aufzutauchen, arbeitete sie lieber in verschiedenen Kapazitäten für die Musikindustrie. In Hamburg war sie Promoterin und A&R bei Polygram und bekam es mit Leib- und Magenkünstlern wie Unkle, Goldie, Money Mark oder 4Hero zu tun – die entsprechenden Limited Editions (und ein unbezahlbares Unkle-Skateboard) kann sie immer noch stolz präsentieren.

Doch nach der Auflösung der Electro-Abteilung, dem Merger mit Universal und der weniger vielversprechenden Aussicht, demnächst Rammstein und Co zu betreuen, folgte sie dem Ruf von DJ Disko nach Berlin, um für die damals dort ansässige Love Parade tätig zu werden. Aus dieser Zeit stammt auch ihr eigener DJ-Name: Aus Barbara Hallama wurde DJ BarbNerdy – als Hinweis darauf, dass man sich sowohl in Sachen Freestyle-Expertise als auch in verzwickten Computerfragen vertrauensvoll an sie wenden kann.

 

Digger For Life

In Berlin lebt Hallama seitdem den Traum vieler kreativer Selbstständiger: Der Day Job bestand zunächst aus einer Stelle als Head Of Editorial bei iTunes, bei dem sie den ein oder anderen Regalmeter Promo-CDs nachgeworfen bekam, doch das war nie das Medium ihrer Wahl. Mittlerweile arbeitet sie u.A. als Consultant im Business Development, was so viel bedeutet, dass sie Labels (*nicht nur) berät, wie sie sich im Internet aufstellen sollen und generell Leuten hilft, den Schritt in die Digitalisierung zu machen. Nach Einbruch der Dunkelheit wird aus der Computerexpertin aber regelmäßig Freestyle-DJ BarbNerdy, die sich genau da am wohlsten fühlt, wo die Subkultur zu Hause ist und die Person hinterm Turntable kein Erfüllungsgehilfe, sondern ein Zeremonienmeister. „Ich lege am liebsten meine Lieblingsmusik auf“, gesteht BarbNerdy. „Best-of-90s-Gigs oder solche, auf denen sich die Leute Robbie Williams oder It’s Raining Men wünschen, nehme ich gar nicht erst an.“

Wenn trotzdem derartige Hörerwünsche laut werden, ist es auch schon mal vorgekommen, dass Hallama lächelnd zurückgab: „Robbie Williams? Kenne ich nicht!“ Auf den Partys, die bis vor Kurzem unter dem Namen Support Your Local Ghetto in Berlins wildem Wedding gegeben wurden, war diese Gefahr nicht besonders groß. Dafür hatte sie als DJ wieder die Gelegenheit, die Arbeit ihrer Kollegen zu bewundern und sich daran zu erinnern, warum sie hinter den Plattentellern steht. „Wenn ich einen Mix höre, der Wahnsinn ist, denke ich mir: Okay, ich packe ein“, sagt sie. „Aber so ist das eben, wenn man Leidenschaften hat. Und ab und zu denke ich auch, dass es anderen womöglich so ähnlich geht, wenn sie mich hören und denken, ich wäre ein Idol.“

Wenn Hallama wirklich ein Idol ist, dann eins, das eine musikalische Lebensanschauung hoch hängt, die viel mit persönlichem Geschmack und wenig mit kommerzieller Verwertbarkeit zu tun hat. Eine Lebensanschauung, die auf nie versiegender Neugierde beruht und der Bereitschaft, sich auch bei der eigenen Plattensammlung keine Grenzen aufzuerlegen. Seit sie im Jahr 2000 Radiohead in ihrer elektronischen Phase kennengelernt hat, bezeichnet sie sie als ihre absolute Lieblingsband, doch weil sie andererseits eine große Freundin der Double-Bass-Drum ist, mag sie auch die jüngsten Veröffentlichungen von Metallica. (mehr über ihren breiten musikalischen Horizont auf hallama.org – soundcloud. com/barbnerdySupport Your Local Ghetto)

 „Musik muss lebendig sein“, sagt sie, und das ist vermutlich auch der Grund dafür, warum man auf ihrem Sonnendeck keine Platte antreffen wird, deren Zustand sich als „near mint“ bezeichnen ließe.

Dafür gibt es in ihrer Sammlung auch keine Platte, die noch nicht gehört worden ist – sie sind allesamt „bespielt“, wie es Sammler von Steiff-Tieren ausdrücken würden. Ihre Leidenschaft als DJ sorgt automatisch dafür, dass ihre Schallplattensammlung ab und zu vor die Tür kommt und dass der Moment, in dem sie ein größeres Publikum findet, der wichtigste ist. „Meine Philosophie ist: Research & Destroy“, sagt sie. „Ich baue gerne Sachen auf, entdecke Musik und versuche dann, ein Publikum dafür zu bekommen. Aber in dem Moment, wo das groß wird, bin ich weg. Ich möchte lieber Sachen entdecken und die dann weitergeben. Ich bin sozusagen Digger For Life.“ Barbara Hallama lächelt zufrieden. „Es soll Leute geben, die hören irgendwann auf, sich für neue Musik zu interessieren und sind dann zehn Jahre später der Meinung, dass es eh nichts Interessantes gibt“, sagt sie. „Aber diesen Punkt habe ich noch lange nicht erreicht.“

1 Comment

  1. sharing means caring Interview in the German Mag: MINT | sharing means caring
    December 15, 2017

    […] Read it here For the first time in my long life with music I got interviewed about my history. The German mag […]

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